Zinsen bleiben niedrig

Zinsen bleiben niedrig

Zwei der wichtigsten Notenbanken der Welt, Fed und EZB, haben den Weg für eine noch länger andauernde Phase mit Nullzinsen geebnet.

Einmal im Jahr treffen sich die internationalen Notenbanker – normalerweise in den Bergen von Wyoming, Jackson Hole. In diesem Jahr wurde das Symposium wegen der Pandemie virtuell abgehalten. Marktteilnehmer fiebern dem Treffen stets mit großer Spannung entgegen, weil sie Indizien für den künftigen Zinskurs der Notenbanken erwarteten. Einmal mehr stand die Rede von US-Notenbankchef Jerome Powell im Fokus. Denn es wurde erwartet, dass er erste Andeutungen zu den Ergebnissen der 2018 eingeleiteten Strategieüberprüfung der Federal Reserve machen würde.

Die Hoffnungen sollten nicht enttäuscht werden, im Gegenteil: Powell wurde sogar deutlicher als erwartet. Demnach verabschiedet sich die Fed von ihrem starren Inflationsziel, das seit den 1980er-Jahren Bestand hat. Nun soll das Inflationsziel der US-Notenbank nicht mehr zu jedem Zeitpunkt nahe zwei Prozent sein, sondern im Durchschnitt über längere Zeiträume dem Zwei-Prozent-Ziel entsprechen. Mit anderen Worten: War die Inflation in den vergangenen Jahren unter dem Ziel, kann und soll sie in den kommenden Jahren über zwei Prozent liegen. Außerdem will die Fed sich noch stärker für die Beschäftigung engagieren. Grund ist, dass die unteren und mittleren Einkommen besonders von guten Arbeitsmärkten profitieren. Auch diese Maßnahme spricht für die Duldung einer höheren Inflation.

Die historische Entscheidung der Fed hat enorme Tragweite. Schließlich verschaffen sich die US-Währungshüter den nötigen Spielraum, um die Leitzinsen bis auf weiteres auf dem aktuell niedrigen Niveau nahe null Prozent zu halten. Einer noch länger andauernden expansiven US-Geldpolitik ist damit der Weg geebnet. Ähnliche Entwicklungen könnten auch in Europa anstehen. Zwar wird die Europäische Zentralbank (EZB) die Ergebnisse ihrer Strategieüberprüfung voraussichtlich erst in etwa einem Jahr abschließen. EZB-Chefin Christine Lagarde hat jüngst aber die Tür in Richtung eines flexibleren Inflationsziels aufgestoßen.

„Wir müssen die Kräfte, die heute die Inflationsdynamik antreiben, gründlich analysieren und überlegen, ob und wie wir unsere Strategie als Reaktion darauf anpassen sollten“, sagte Lagarde kürzlich auf einer Tagung in Frankfurt. „Wir sollten ein Inflationsziel haben, das glaubwürdig ist und das die Öffentlichkeit leicht verstehen kann.“ Darüber hinaus wies die Französin auf die Möglichkeit eines neuen Zeithorizonts hin, in der das Inflationsziel erreicht werden soll. Konkret deutete Lagarde an, dass die EZB Zeiten mit besonders niedriger Inflation dadurch ausgleichen könnte, dass sie zeitweise höhere Inflationsraten akzeptiere.

Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Geldpolitik auch im Euroraum noch lange Zeit sehr locker bleibt. Schließlich befindet sich die Inflationsrate inzwischen seit fast zwei Jahren unterhalb des EZB-Zielwertes. Um im Durchschnitt zwei Prozent zu erreichen, müsste die Inflation daher für einige Zeit oberhalb der Zielmarke liegen. Für Anleger bedeutet das: Sie sollten sich für einen längeren Zeitraum auf Nullzinsen und eine höhere Inflation einstellen.



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